Otto und Martha Dix sind fasziniert, als sie Anita Berber 1925 bei einem Auftritt in Düsseldorf sehen. Das Ehepaar tanzt selbst leidenschaftlich gern, aber was die berühmt-berüchtigte Berber auf der Bühne zeigt, gleicht einer Revolution des modernen Tanzes. Viele Zeitgenossen sind schockiert von der kompletten und völlig ungenierten Nacktheit ihrer Darbietungen. Hinzu kommt der ausschweifende Lebensstil: Drogen, Alkohol, Bisexualität und zahlreiche weitere Tabubrüche handeln Anita Berber den Ruf als Bürgerschreck der Weimarer Republik ein. Nur wenige erkennen den ästhetischen Gehalt ihrer Vorstellungen. Sie bringt das Hässliche und die Abgründe des menschlichen Daseins ungeschönt auf die Tanzbühne und täuscht in Stücken wie »Kokain« oder »Morphium« nicht nur einen rauschhaften Zustand vor, sondern verkörpert ihn durch und durch. Damit fängt sie die Schattenseiten einer ganzen Epoche ein.
Dass Dix dieser kompromisslose Blick auf die Welt beeindruckt, ist naheliegend. Auch Anita Berber porträtiert er in seiner charakteristisch schonungslosen Weise. Der Körper einer schönen 26-Jährigen zeichnet sich unter dem roten eng anliegenden Kleid ab. Hinter dem stark geschminkten Gesicht scheinen jedoch die Spuren ihres ausschweifenden Lebens deutlich hervor. Die S-Kurve ihres Körpers und die langen krallenartigen Hände verstärken die erotische Haltung, mit der die Tänzerin den Betrachter:innen begegnet. Den Blick richtet sie in die Ferne, sodass wir sie ungeniert beäugen können. Die Faszination, die von ihr ausgeht, hält sie am Leben und ruiniert sie zugleich. Drei Jahre, nachdem das Porträt entstanden ist, stirbt Anita Berber im Alter von nur 29 Jahren.
Bildnis der Tänzerin Anita Berber
Bildnis der Tänzerin Anita Berber
Werkdaten
- Inventarnummer: LG-078
- Material / Technik: Öl und Tempera auf Sperrholz
- Creditline: Sammlung Landesbank Baden-Württemberg im Kunstmuseum Stuttgart
Provenienz
1925–1926 Otto Dix, Düsseldorf, Berlin; 1926 Galerie Neumann-Nierendorf, Berlin; 1926, Juni-Juli Moderne Galerie Thannhauser, München; 1926–1937 Städtische Galerie, Nürnberg; 1933, 17.4.–1933, 16.5. Städtische Galerie, Nürnberg; 1937 Städtische Galerie, Nürnberg; 1939, 30.6. Galerie Fischer, Luzern; 1939–1963 Unbekannter Besitz (in Frankreich); 1963 Herr Ziegler, Stuttgart; 1963–1969 Otto und Martha Dix, Hemmenhofen; 1969–1978 Martha Dix, Hemmenhofen, Serrians (F); 1978–1983 Gesellschaft Erben Otto Dix; 1983–2006 Otto Dix-Stiftung Vaduz, Liechtenstein; 2006–heute Landesbank BW, Stuttgart; 2006 Kunstmuseum Stuttgart